Renate Gross, Sequenzen: Körperdruck- Fotoreihen mit unterlegter Neuer Musik, 2000
Die Fotografin Karin Mueller fragte mich ob sie mich bei der Arbeit fotografieren dürfe.
Sie meinte „da knisterts, da passiert was spannendes – hier der Körper teilweise mit Farbe bedeckt, da der Abdruck, die Verschmelzung von Druckstock und Druck, dann die Loslösung, das Bild, die Strukturen…
Wir machten 2 Termine aus, an denen sie 8 x 36 Fotos „schoß“
Ich hatte die Bücherregale im Atelier mit Leintüchern verhängt, wir bedeckten noch die Bodenfliesen des Kontrastes wegen- 2,50 m breit- rechts Bilderstapel, links der Ofen- 3,50m lang vom Sitz bis zum Schreibtisch auf dem die angerührte Farbe wartete, in der Mitte meine Arbeitsfläche:
Ich wußte, ich könne mich auf Ihre Arbeit verlassen, kannte ihre Qualität und was immer sie an der meinen interessant fände-
Nach einer Weile bat ich Karin sie möge einfach STOP schreien wenn erforderlich. Man weiß einfach nicht vorher wie schwungvoll schnell manche Bewegungsabläufe sein müssen; schließlich muß ich ja nicht nur in die Fläche hinein. sondern auch ohne Patzer wieder aus dem Bild heraus, meist ohne Abstützmöglichkeit außerhalb der Bildfläche- eben mit Schwung, Bein- oder Armhebel. Die Haltung des Körpers, der Figur im Bild entsteht immer durch einen vorher genau zu durchdenkenden Bewegungsablauf, da die „Bildfläche“auf dem Boden liegt- dadurch erweitere ich meinen Aktionsradius und gewinne Gestaltungsfreiheit über die ganze Bildfläche.
Erst als Karin mir die Direktabzüge zeigte,
kam mir die Idee auf diese Weise Einblick in meine Arbeit zu geben- kein plattes „man nehme …“, keine Bild-anleitung, kein voyeuristisches Allesdemaugeeinflößen und kein Ersatzerleben, sondern eine Möglichkeit der Anteilnahme; ganz möglich eben durch die unterbrochene Bild“folge“ die dem Betrachter Schlaglichtartig die Situation verlebendigt und doch Distanz aufrechterhält. Diese Distanz bewahre ich auch durch das Weglassen von Fotos, auf denen ich aus dem Bild herausschaue; Kontakt zum Betrachter aufnehme. Kein Einvernehmen – und doch kein Voyeurismus.
Ich wählte etwa die Hälfte der Fotos aus, um in variierten Abläufen die Arbeit zu zeigen.
Die Körperlichkeit der Musik Lauren Newtons, die z.t.ganz auf Atem reduzierten Stücke transportieren meine eigene Spannung, ja Dramatik.
Ich kann den Betrachter mitnehmen in meine Arbeit; ungescheut die wunderbare „Verwandlung“ des Körpers zeigen: durch die Beschichtung mit dieser schwarzglänzenden Farbe gewinnt er Präsenz und Skulpturale Qualität und verliert gleichzeitig das vertraut- bekannte. Auch während der Arbeit unmittelbar nach dem Abdruck, wenn Körper und bedruckte Fläche sich voneinander lösen geschieht durch die vollkommene Auflösung in Strukturen eine Irritation des Auges, das beides nicht mehr voneinander zu unterscheiden vermag: meine Verschmelzung mit dem Bildmotiv. Dann das Voneinander – lösen, der Ausstieg aus dem Bildraum.
Im Ablauf der 6 Sequenzen dann die Veränderung der Hautoberfläche: der Farbabtrag und fortwährende -wiederauftrag schafft eine grauschwarze unregelmäßige Oberflächenstruktur- wie angewitterter gehauener rauher Stein, archaisch.
Zuletzt ziehen die durch die Körperwärme angetrockneten Restfarbschichten die Oberfläche der Haut zusammen, platzen auch durch die weitere Bewegung teilweise ab – Alterung und Verfall, ja Auflösung vorweggenommen.
Zumindest als Assoziation ist alles, was in den entstehenden Arbeiten später sichtbar wird schon in den Fotosequenzen enthalten- Realität, Sexualität, Verletzlichkeit, Verletztheit, Alterung, Sterblichkeit, Großartig- und Erbärmlichkeit, Kraftvolle Dynamik und Morbidität. Körperthematik.
Der Körper ist der Handschuh der Seele – Haut als die Grenze zwischen dem Innen und dem Außen wird auch transparent für die Seelenaussage. Als Körper manifestiert sich die Seele. Oft können wir ihre Botschaften nicht deuten.The Heart has its own reasons- Wie das Herz seine eigenen Gründe hat, hat der Körper die seinen- und seine eigene Weisheit.
Renate Gross Schumannweg 3, 73660 Urbach www.renategross.de
„ 6 Sequenzen Körperdruck“, 2000 – 50 signierte Ex.
6 Reihen dokumentarischer s/w Fotos von Karin Mueller, versehen mit neuer Musik:
Lauren Newton Stimme/ Joelle Leandre Kontrabaß – zugeordnete Ausschnitte der CD „14 Colours“
Durch das langwierige Ritual der Vorbereitung des Raumes, des Arbeitsplatzes (Futon oder Wolldecke/n, darüber Tücher), der Papiere, Leinwände, der Drucksubstanzen, Farben als auch meiner Person wird eine kontemplative Stimmung erzeugt; bin ich ganz bei mir und gleichermaßen ganz in der zu entwickelnden Serie die immer am Beginn der Arbeit steht; gegen Ende ist meist Zeit für eine Reihe stärker experimenteller Drucke. So ist das Arbeiten für mich immer zu einem Teil konzeptuell, zum anderen Experiment aus dem sich wieder eine neue Konzeption entwickeln läßt- einerseits reine Ausführung, auf gewonnene Erfahrung zurückgreifend und andererseits Ausweitung meines „Claims“.
„ im Gegensatz zu Ives Klein arbeite ich nicht mittel- sondern unmittelbar; aus eigenem Körpergefühl. Körperdruck ist ein Medium- ich erkunde die Ausdrucksmöglichkeiten. Von grafischen bis zu malerischen Lösungen, Kombinationen mit anderen Techniken bietet sich nichts weniger als ein neuer Kontinent!“ auf dem ich zu Beginn der Arbeit wie im Laufschritt meine Pfähle setzte; inzwischen das Terrain kultiviere, neues sichte, erweitere !
In den Sequenzen eröffnen sich außer der dokumentarischen noch mehrere Seiten: Einblick in die Dynamik die sich ins Bild überträgt; selten die eher spielerische graziöse, meist die gegenwärtige Gewalt: Die Deformation des Körpers, einmal um denselben in die Übertragungsposition auf der Bildfläche zu bringen; auch um die Gliedmaßen in der bildgerechten Position über der Fläche zu halten (wenn auch nur für Sekundenbruchteile): Aufbringung der Farbsubstanz ins Bild. Konzentration, die sich in der Bewegung entlädt – Verschmelzung und Ablösung, Trennung.
Etliche meiner Heroes der Kunstgeschichte kehren so ins Bewußtsein zurück: ich „stelle“ die Bilder.
In der ersten Sequenz einige von Jasper John`s Females (Vierfüßlerstand, schwarzlatexstrapsig -)
Zuletzt Todesnähe – in der letzten Sequenz, letzte Einstellung eine Skulptur von Stefan Maderno (um 1600): die heilige Cäcilie. Aus dem Bildgedächtnis emporsteigendes, durch meine Person transformiert: meine Antworten, die ich mit meiner Arbeit dem Gedächtnis der Kunst zurückgebe.