1 Wundermantel
Da stehe ich, auf der Bühne, am festlichen Abend, dem Höhepunkt der Künstlertagung.
mit einem Pappkarton.
Gerade erst habe ich noch einmal hastig meine Stichwörter memoriert; an den Fingern
festgemacht: Diakonie, Mantel, Ausstellung, Venedig.
Erst vor 10 Minuten fiel mir ein; dass ich ja eine Geschichte zu erzählen habe: Meine Mantelgeschichte. So unwahrscheinlich, dass sie nur im Leben passieren kann.
Sie beginnt 14 Jahre zuvor:
Schon den ganzen Herbst und Winter hindurch hatte ich nach einem schönen, warmen
Wintermantel für mich gesucht. Ich wusste, wie er nicht aussehen sollte: Kein Blau,
kein Schilfgrün oder Mint, Mauve oder Rose, kein blasses Beige, keine schreiende
Farbe, keine Raglanärmel, Wiener Nähte oder angekrauste Schultern, kein Koller, nicht
die A-Linienform … ; gefühlt hunderte von Mänteln jeglicher Machart und Mode der
letzten 30 Jahre hatte ich mir angesehen und immer wieder die Diakonieläden, Caritas-
und Rotkreuzkleiderstuben durchgekämmt (Secondhand fiel durch, weil schlichtweg
unerschwinglich), weiterhin zwei Jacken übereinandergezogen und einen Schal
umgewickelt. Mein Wintermantel war einfach nie da. Leider den ganzen Winter lang.
Es wurde Frühjahr, Märzanfang bis ich den einen, meinen fand: Gute Farbe, mit Revers,
schlicht und aus sehr sehr schönem Stoff: Kaschmirvelours, das heißt, eine samtartige,
sanft glänzende, streicheiweiche Oberfläche. Cashmir von Piacenza, dem italienischen
Kaschmirspezialisten, dessen Label in Kleidungsstücke aus seinen Stoffen noch extra
eingenäht wird und von dem ich nur wusste, weil ich in einer geschenkten VOGUE
einmal eine Anzeige von ihm gesehen hatte – und der Mantel von Max Mara, dem
Modeimperium. Karamellfarben, sagenhaft weich wie eine Kuscheldecke, eine, die man
zudem. noch überall dabei hat; wo ich doch immer Angst habe, frieren zu müssen
Da hing doch tatsächlich eine echte Preziose mitten in der Kleiderkammer des Roten
Kreuz – ein wirklich edles Teil fürs Leben; ein Klassiker. Auf so etwas zu treffen, so
etwas zu finden, wie wundervoll! Mein neuer Mantel!
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Als ich darin – Ende März wurde es nochmal richtig kalt, so konnte ich mein
Prachtstück auch ausführen – zu meiner Galeristin Uta (der einzigen, die ich je hatte) zu
einer Ausstellungseröffnung kam, sagte sie schon beim Öffnen der Haustür: “OH
Renate, du siehst SEHR reich darin aus.” Dieser Satz war nicht wirklich bei mir
angekommen, aber es war jedesmal so eine Freude für mich, diesen Mäntel zu tragen,
den ich mir neu niemals hätte leisten können; selbst mit dem zehnfachen Einkommen
wäre es mir nicht eingefallen, bei Max Mara einzukaufen, bewegen sich doch dessen
Mäntel eher im vierstelligen Bereich.
Weil im Innenfutter über der Gehfalte ein kleiner Riss war, hatte ihn jemand
weggegeben. Darüber konnte ich jubeln und jedes einzelne Mal, wenn ich ihn anzog,
war es ein besonderes Gefühl, dieses wunderschöne Stück zu tragen: magisch, als hüllte
ich mich in ein Märchengewand.
Mir war nicht wirklich klar, dass. alle Welt annahm, ich schwömme im Geld, schließlich
kämpfte ich so vor mich hin: Ums Überleben als bildende Künstlerin, die eigensinnig
immer weiter ihre Bilder macht und sich immer wieder anhören muss, dass “die Zeit
dafür wohl noch nicht gekommen ist”, die jedes Jahr gerade noch so über die
Untergrenze des geforderten Mindesteinkommens der Künstlersozialkasse kroch, die
Gottseidank einen Ausweis für die “Tafel” hatte und eine Bleibe und Ralf, den Freund
meines Bruders, der meinen 900 Euro- Volvo zum Selbstkostenpreis – so etwa alle
acht, neun Wochen – wieder zum Laufen kriegte.
Sehr kurzsichtig wird man davon, wenn man jeden Cent dreimal umdrehen muss.
Immerhin profitierte ich ja rundum vom Überfluss unserer Verschwendungsgesellschaft
in Bezug auf Haushaltsbedarf, Ernährung und Bekleidung – naja, ohne Unterwäsche –
halt, nein, EIN MAL tauchte doch tatsächlich ein neuer, noch mit allen Preisschildchen
versehener zartgrauer Spitzenbody von La Perla auf!
Also ich war der Meinung, alles meiner klugen Einsatzstrategie der Wertschöpfung,
Materialkenntnis, Selbstschneiderei- und Handwerkserfahrung und meinem guten,
geschulten Auge und Urteil zu verdanken. Über diese Gaben und Fähigkeiten war ich
nicht froh und beglückt, nein, ich sah mich nur als Einzelkämpferin mit Buttermesser
ununterbrochen kämpfend in einem Dschungel, in dem ich eben eine Machete gebraucht
hätte.
Das ging solange, bis ich auf Einladung einer Stiftung zwei Monate in Basel leben und
arbeiten konnte und dort prompt meine schwarze Schurwolljacke vom Fahrrad verlor.
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Ich war erst zwei Ecken weiter als ich es merkte, aber: die Jacke war perdu, einfach
weg! Kleidung ist in der Schweiz sehr teuer, also dachte ich: Die hat sich jemand
schnell gekrallt und: Ich krieg ja in “meinen Boutiquen” (Zitat Uta) schnell wieder
eine … Pustekuchen; keine, die mir gefallen konnte, tauchte je auf.
Das gab mir endlich zu denken und ich hörte verwundert tatsächlich einmal hin, als eine
Freundin zu mir sagte:” Renate, du bist so ein reicher Mensch, du siehst es bloss nicht.”
Einen Gärprozeß brachte sie in Gang, der darein mündete, dass ich mich fragte, wie es
wäre, wenn ich mir vornähme, alle unguten Erfahrungen, gezwungenermaßen
angeeigneten Fähigkeiten und alles durch meine finanzklamme Situation unfreiwillig
erworbene Wissen auf die Habenseite meines Lebens zu buchen: Als genaue
Menschenkenntnis, als vielfältiges Können und als reiches Wissen.
Da konnte ich meine Trauer, so wie man etwa ein hauchzartes Batisttaschentuch fallen liesse, endlich einfach los- und entlassen.
Mein wunderwunderschöner Mantel aber begleitete mich viele viele Jahre.
Eine Fellmütze aus einer ehemaligen Hamsterweste nähte ich mir passend dazu- echte arme
kleine, zuckersüße Hamster mit ihrer so wunderhübsch schwarzbraunen, karamellfarbeneu und
weißen Fellzeichnung. Nun, sie waren schon tot und ich habe sie gewürdigt und ihre Pelzchen
nachhaltig verwendet, mitsamt etwas schlechten Gewissens.
Ich erstand ein gleichartiges Fellfutter aus einem Herrenmantel, auch im Rotkreuzladen,
das ich umdrehte und bei Eiseskälte und Schneetreiben außen drübertrug. Das war
optisch nicht mehr zu übertreffen – naja, wenn ich so zurückdenke: Zwei russische
Windspiele und ein Pferdeschlitten hätten das ganze komplettiert, meine Hermitage
jedoch war eine Doppelhaushälfte im Schwäbischen, davon ließ ich mich aber nicht
abhalten meine “Alexeja- Romanowa- Robe”, wie ich mir – sehr leise – zuflüsterte, zu
tragen. “Vissi d’ Arte” , eben (das wurde mal übersetzt mit: “nur der Schönheit weiht ich mein
Leben … “)
Also, wir beide, mein Mantel und ich, waren viele, viele Jahre ein Traumpaar – nur dass
ich mit der Zeit auf Grösse 40 abnahm und er blieb, was er war: ein fantastisches Stück
in Grösse 44. Es kam unaufhaltsam der Tag, an dem ich einsehen musste, mein
Wundermantel ist mir schlichtweg zu groß.
Eines Novembers konnte ich mich an einer von Künstlern kuratierten Ausstellung
beteiligen. Das Thema war: “Laterne, Laterne”; passend zur Jahreszeit. Mein Vorschlag bestand aus zwei Lichtkästen: Je ein Körperabdruck seitlich in knieender Haltung, mit
Asche auf Papier ausgeführt und mit Öl getränkt, wie japanische Landschaftsmalerei
anmutend, zarte Berge und Täler in feinen Strukturen auf durchscheinend milchigem
Untergrund; auf opakem Plexiglas unsichtbar befestigt – warm leuchtende Lichtobjekte.
Als ich mich nach dem Platz, der für meine Arbeiten vorgesehen war, umsah, fiel mir
eine Mitausstellerin auf: Etwas wirre Haare, dicke Strickjacke, Figur genau Größe 44 –
da beschlich mich ein Verdacht: “Die könnte für meinen Mantel die Richtige sein.”
Nach Austausch erster Höflichkeiten tastete ich mich vorsichtig vor, die richtigen Worte suchend. Ich erzählte ihr wie mir mein schöner Mantel – den ich anhatte – leider nicht mehr gut passe, auch nicht mehr ganz so glanzvoll sei; die Ärmel ein kleinwenig
abgestoßen. Ob ich ihr eine Freude damit machen würde; ich hielte schon eine Weile
Ausschau nach der richtigen Person.
Sie war überrascht, freudig und hat den Mantel dann tatsächlich gleich zur Vernissage
angehabt. Ich erfuhr da, dass sie und ihr Mann noch Kunsterzieher sind (und ‘Wusste
plötzlich, für einen winzigen Sekundenbruchteil, nicht mehr genau, ob nach meinem
Gebet: “zeig mir die richtige” ich mich nicht vielleicht doch verhört hatte … ?) .
Nein. Sie hat sich so gefreut: Sie war schon Mrs. Right für mein Prachtstück.
Ein gutes dreiviertel Jahr später war ich dem Menschen begegnet – auch eine
unwahrscheinliche Geschichte, statistisch gesehen wird man mit 57 eher von einem Zug
überfahren als da noch dem Mann fürs Leben in den Weg zu stolpern – tatsächlich dem
Menschen, der mit mir und mit dem ich sein will.
Wir sind miteinander zur Biennale nach Venedig gereist – für einen, der sich nie
wirklich mit Kunst beschäftigt hatte, absolut Kaltwasser.
Also, wir lustwandeln spätnachmittags nach immensem Kunstgenuss, der sich in den
Gärten und Länderpavillons und weiträumigen Hallen der Arsenale darbot, in der
schmeichelweichen Septembersonne Richtung Hotel. In Luftlinie etwa vom
Eingangsportal der Arsenale Richtung Markusplatz, nur eben nicht vorne am Wasser,
sondern parallel dahinter. In einiger Entfernung grüßt ein Kirchturm.
Beim Näherkommen sehe ich davor, mitten auf dem Platz, einige übervoll behängte
fahrbare Kleiderständer und weiß sofort: das bedeutet Kleiderkammer.
Vornedran am Allerersten – ich traue meinen Augen nicht – da leuchtet ein helles
Karamellbraun, kuschelmuschelweich und wunderwunderschön. Revers, Blazerschnitt,Kaschmir von Piacenza, Mantel Max Mara. Exakt mein Märchenmantel – in meiner Größe, 40.
Worte stürzen aus meinem Mund; ich versuche, Kurt die Geschichte zu erzählen und
gleichzeitig in den Mantel hineinzukommen. ich bin so aufgeregt dass ich mich nur
verhasple, während mir brühheiß vor Glück ist.
Ich stürze mit dem Mantel ins Untergeschoß, in den Raum, wo die Frauen sitzen, die die
Kleiderstube betreuen, überschütte sie mit meiner Freude, versuche mit Händen und
Füßen und mickrig wenig Italienisch von dem Wunder zu erzählen, exakt den gleichen
Mantel in meiner neuen Größe wieder zu finden – in einer Kleiderkammer! Zwei, drei
der mithelfenden Damen umringen mich und versuchen meine übersprudelnde Freude
zu verstehen, meine Worte zu übersetzen. Ich bezahle die 10 Euro und schwebe hinaus.
Keine Ahnung was ich sonst noch anhatte; ich habe den Wundermantel drübergezogen.
Im milden Septembersonnenschein bin ich wie im Traum neben meinem Mann den
ganzen Weg ins Hotel zurückgegangen und fühlte mich wie eine Glückskönigin.
Staunend, staunend.
“Meine schnell gebastelte Bühnen- Dramaturgie lässt jetzt doch etwas vermissen”,
merke ich und ich ziehe ENDLICH den Mantel aus dem Pappkarton, schlüpfe hinein, freue mich mit allen und gehe ab – nein, stopp, ich sage noch:
“Auf dem Zettel, der in der Kleiderkammer neben der Ausgangstüre hing, da stand:
Ausgabe wohltätiger Kleiderspenden für jedermann nur Dienstag 14-18 Uhr. Gemeinde
von San Martino in Sestiere Castello, Venezia”’.
“Sankt Martin, Sankt Martin, Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind … ?” Der.